Eingangstor zu einem Backsteingebäude mit Supraporte

Geschichte des
Ortes

Die Zwangsarbeitsanstalt zu St. Georg

Die Riebeckstraße 63 war ein Kristallisationsort sozialer Ausgrenzung über die politischen Systeme des 19. und 20. Jahrhunderts hinweg. Im Jahr 1892 wurde in der Riebeckstraße 63 auf insgesamt 28.000 m² die „Zwangsarbeitsanstalt zu St. Georg“ eröffnet. In dem Gebäudeensemble, das heute noch weitgehend erhalten ist, wurde ein Arbeitshaus sowie ein Versorgten- und Obdachlosenhaus untergebracht. Die Polizei wies hier Frauen und Männer zur Verbüßung von Haft ein. Offiziell diente die Arbeitsanstalt zur „sittlichen Besserung arbeitsscheuer, trunksüchtiger und liederlicher Armer“.

1909 wurde die Einrichtung in „Städtische Arbeitsanstalt“ umbenannt. Seit ihrer Gründung stand sie für eine repressive kommunale Fürsorgepolitik, die gesellschaftlichen Phänomenen wie Armut, Arbeitslosigkeit und psychischen Erkrankungen mit Ausgrenzung, Disziplinierung und Arbeitszwang begegnete.

Die Riebeckstraße 63 im Nationalsozialismus

Von 1933 bis 1945 wurde das Gelände in der Riebeckstraße 63 zum Dreh- und Angelpunkt der städtischen NS-Verfolgungspolitik, den zahlreiche Verfolgtengruppen passierten. Seit 1936 mussten Rom:nja und Sint:izze auf dem Gelände Zwangsarbeit leisten, seit 1938 auch Juden und Jüdinnen. Mindestens 76 Insass:innen der Städtischen Arbeitsanstalt wurden bis 1941 Opfer von „Euthanasie“-Verbrechen.

Während des Zweiten Weltkrieges fungierte das Gelände zum einen als zentrale Verteilerstelle von NS-Zwangsarbeit. Zum anderen diente es als Sammel- und Durchgangslager für Juden und Jüdinnen, die von hier aus in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Hinzu kam, dass sich im Keller eines der Gebäude ein Polizeiersatzgefängnis und ein „Ausländergefängnis“ befanden, in denen politische Gefangene sowie Zwangsarbeiter:innen und andere Verfolgte temporär inhaftiert worden sind.

Die Riebeckstraße 63 von 1945 bis heute

Das Gelände der ehemaligen Städtischen Arbeitsanstalt hat seit 1945 verschiedene Nutzungen erfahren. Kurz nach Kriegsende wurde hier ein Repatriierungslager für Zwangsarbeiter:innen aus Polen eingerichtet sowie 1946 ein sogenanntes Fürsorgeheim für Geschlechtskranke.

Dieses Fürsorgeheim wurde 1952 zur geschlossenen Venerologischen Station. Die städtischen Behörden wiesen Mädchen und Frauen zwangsweise und oftmals auch ohne gesetzliche Grundlage ein. Sie mussten gegen ihren Willen gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen. Venerologische Stationen, im Volksmund „Tripperburgen“ genannt, stellten keinen Ort der Genesung, sondern der Disziplinierung und Misshandlung dar.

Die Arbeitsanstalt wurde in der DDR 1954 in „Heim für soziale Betreuung“ umbenannt und seit 1961 als „Sozialheim“ genutzt. Seit 1971 war hier ebenso eine Außenstelle des Bezirkskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Leipzig-Dösen untergebracht.

Nach der politische Wende von 1989/90 wandelte sich die Nutzung des Areals abermals. Die Venerologische Station wurde aufgelöst, und eine Gruppe von Aktivist:innen setzte sich für die Enthospitalisierung des Sozialheims ein. Seit 1999 ist das Gelände in Trägerschaft des Städtischen Eigenbetriebs Behindertenhilfe (SEB). Heute befinden sich auf dem Areal eine Kindertagesstätte, eine Wohngruppe der Kinder- und Jugendhilfe sowie eine Unterkunft für Geflüchtete.

Audio-Rundgang zur Riebeckstraße 63

Ein Audio-Rundgang bietet weiterführende Informationen zum Gelände und seiner Geschichte. Du kannst den Rundgang zu Hause anhören oder während eines Spaziergangs über das Gelände. Während der Öffnungszeiten des Pförtnerhäuschens kann man sich vor Ort auch Kopfhörer leihen.

Zum Audiorundgang: https://rundgang.riebeckstrasse63.de

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